Rathaus

Waischenfeld

von Kaspar Kellermann

Waischenfelds Vergangenheit hat – wenn man so will – eigentlich ihre Wurzeln in seinen Felsen, die den westlichen Hang des Wiesenttals krönen. Schon deren Höhlen erbringen, wie Ausgrabungen ergaben, den Nachweis, daß die Gegend bereits in der Vorgeschichte, in der Jungsteinzeit, von Menschen bewohnt war.

Die erste „geschichtliche“ Ansiedlung dürfte wohl im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Frankenreiches (um 800 n. Chr.) geschehen sein. Den aus dem Westen gegen den slawischen Osten vordringenden fränkischen Eroberern kamen hier die schroffen Felsen des westlichen Talhanges nur gelegen, ihre jungen Ansiedlungen auf der Jurahöhe – so wird das Dorf Heroldsberg schon 1122 urkundlich genannt und Zehentrechte des Bistums Würzburg sind in Seelig schon vor der Gründung des Bamberger Bistums (1007) nachzuweisen – nach Osten abzusichern, mit einer wehrhaften Burg zu bestücken, unter deren Schutz sich talwärts die ersten Waischenfelder angesiedelt haben mögen. So kommt es nicht von ungefähr, daß Waischenfelds Name, der sich im Ablauf der Geschichte sprachlich des öfteren wandelte, urkundlich erstmals in Verbindung mit seiner Burg und ihren Herren, den Edelfreien von Waischenfeld, auftritt. Diese Urkunde stellte Bischof Otto 1. von Bamberg im Jahre 1122 einem Konrad von Wischinvelt aus; als Konrads Vater wird hier ein Wirint von Wischinvelt genannt, der erste urkundlich belegbare Namensträger dieses Geschlechts, von dem dann 1146, 1147 und 1156 wieder ein Konrad auftritt und zwischen 1163 und 1216 ein Ulrich von Waischenfeld. Mit diesem Ulrich dürfte wohl auch der Besitzübergang der Herrschaft und Burg Waischenfeld nach 1216 an die Edelfreien von Schlüsselberg geschehen sein, an jenes Geschlecht, das für Waischenfeld so bedeutsam wurde.

1128 werden die Schlüsselberger erstmals genannt, die sich – je nach dem Besitz -von Otlohesdorf (Adelsdorf?), von Creußen, von Greifenstein nennen. Von Greifenstein aus kamen sie ins Wiesenttal und errichteten oberhalb der Pulvermühle die Schlüsselburg, nach der sich, erstmals 1219, Eberhard von Greifenstein nun „von Schlüsselberg“ nannte. Sicherlich war er auch der Erbe der Herrschaft Waischenfeld; der Besitzübergang ist urkundlich nicht festgehalten, er ist wohl aus verwandtschaftlicher Verbindung zu erklären.

Doch erst der letzte Sproß der Schlüsselberger, Konrad II. machte die Waischenfelder Burg, bis dahin auf den Felsen des sogenannten „alten Schlosses“ beschränkt, zum eigentlichen Stammsitz des Geschlechts und baute sie zu einer mächtigen Burganlage aus. Waren die Schlüsselberger bereits zu einem begüterten Geschlecht geworden und zu einem reichsunmittelbaren Edelgeschlecht aufgestiegen, so stellten sie mit Konrad II. auch eines der mächtigsten Herrengeschlechter Frankens dar. Es konnte nicht nur aus eigenen Waffenschmieden gerüstete Mannen stellen, sondern auch mit barer Münze dienen. Ein von dem Schlüsselberger Eberhard an den Bayernherzog Ludwig den Strengen (1253-1294) gewährtes Darlehen von 250 Pfund Heller band auch die Erben von Schuld und Schuldschein aneinander: Ludwig den Bayern, den späteren König, und den letzten Schlüsselberger, Konrad II. Aus dieser materiellen Bindung wurde mehr und mehr – vor allem als es für Ludwig um die deutsche Königs- und Kaiserkrone ging – eine treue Waffenbruderschaft, die nicht zuletzt in einer Freundschaft zwischen zwei Männern mit der gleichen fortschrittlichen Gesinnung, wie sie sich gerade in der Aufgeschlossenheit gegenüber dem aufstrebenden Bürgertum jener Zeit zeigte, ihren Ursprung hatte. Schon als es 1313 in der Schlacht bei Gammelsdorf zwischen dem Bayernherzog Ludwig und Friedrich dem Schönen von Habsburg um die Regentschaft über das niederbayerische Herzogtum ging, fand die Waffenbrüderschaft zwischen Ludwig und Konrad ihre Bewährung. Ludwigs Sieg machte die deutschen Kurfürsten auf ihn aufmerksam, als es ein Jahr später galt, als Nachfolger Heinrichs VII. einen neuen deutschen König zu wählen. Aber bei der Wahl entschieden sich nicht alle Kurfürsten für den Bayernherzog; Friedrich der Schöne wurde sein Gegenkönig, was einen achtjährigen Krieg um die Krone zwischen beiden zur Folge hatte. Zwei Jahre nach jener Schlacht bei Gammelsdorf und ein Jahr noch der Königswohl bedankte sich der Bayer Ludwig, den die Geschichte den Städtegründer nennt, bei seinem Waffenbruder und Freund Konrad von Schlüsselberg auf seine Art: Am 9. Dezember 1315 urkundete er zu Burglengenfeld, er habe „durch besunder Lieb, Treue und Dienst des edlen Conrad von Slüzzelberg“ bewogen, dessen Dorf Waischenfeld „ewiglich gefreit“, mit dem Freiseldenrecht, mit dem Marktrecht und mit allen Freiheiten begnadet, die seine königlichen und kaiserlichen Vorgänger der Stadt Bamberg verliehen hätten. Bereits am 9. Februar 1316 ergänzte Ludwig zu Nürnberg diese Urkunde durch einen neuen Gnadenbrief, worin Marktund Stadtrecht bestätigt wurden. Um die Stadt wurde ein Bannkreis gezogen, der ihr junges Gewerbe schützen sollte; innerhalb dieser Bannmeile durfte der Handel nur von Stadtbürgern betrieben werden.

Als nach achtjährigem Ringen mit dem Sieg über seinen Gegenkönig bei Ampfing und Mühldorf der endgültige Besitz der Königswürde für Ludwig gesichert war, verging kaum eine Woche – es war am 8. Oktober 1322 zu Regensburg – und der König gewährte dem Schlüsselberger für sein Waischenfeld ein drittes Privileg, das die Bannmeile erweiterte und die Strafe für Übertretung erhöhte.

Die Bürger der jungen Stadt machten dann auch von dem Recht, sie mit einer schützenden Mauer zu umgeben, Gebrauch. Ihr Verlauf schloß den alten Stadtkern westlich des Flusses ein und wird noch heute durch die Benennung von Ortlichkeiten, wie „hinteres Tor“, „unteres Tor“, „Wassertürlein“ angedeutet; spärliche Reste der alten Stadtmauer stehen noch auf der sogenannten Arndthöhe.

Als Konrad II. von Schlüsselberg am 14. September 1347 auf Neideck einem Steingeschoß erlag, hinterließ er keine männlichen Erben. Ein Streit um seinen Besitz endete 1349 mit dem lphöfer Vertrag. Dieser sprach Burg, Stadt und das weite Gebiet Waischenfeld dem Hochstift Bamberg zu. Hatte der letzte Schlüsselberger der jungen Stadt zu Füßen seiner Burg bereits eine Mittelpunktstellung zugewiesen, so wurde diese durch das Bamberger Hochstift wesentlich ausgebaut: Waischenfeld wurde Sitz aller hohen fürstbischöflichen Außenämter: eines Zentamtes, eines Vogteiamtes und eines Kastenamtes, später eines Steueramtes; in die Schlüsselberger Burg zog ein bischöflicher Oberamtmann ein.

Die Ämter umfaßten z. T. sehr weite Gebiete. So reichte der Bereich des Zentamtes, das für die Gerichtsbarkeit zuständig war, von Plankenfels bis Behringersmühle und von Draisendorf bis Hintergereuth. Erbzinspflichten des Kastenamtes sind 1780 noch nachzuweisen in Unterleinleiter, Egloffstein, Steinamwasser, Altencreußen, Mistelgau; Getreideschüttböden für das Waischenfelder Kastenamt gab es in dieser Zeit noch in Gößweinstein, Pottenstein und Leienfels. Diese Amterniederlassung, verbunden mit dem Stadtrecht, leitete für die junge Stadt einen wirtschaftlichen Aufstieg ein, der über Jahrhunderte mithielt im zeitlichen Wandel und erst abebbte, als das einbrechende Industriezeitalter neue Maßstäbe setzte.

Der mit dem Stadt- und Marktrecht verbundene Handelsbann, unter den sogar der Bierzwang fiel (d. h. innerhalb der Bannmeile durfte nur Waischenfelder Bier ausgeschenkt werden), schützte das aufblühende heimische Gewerbe, denn innerhalb dieser Bannmeile durfte der Handelsverkehr nur durch eingesessene Bürger oder auf dem Waischenfelder Markt betrieben werden. Der so auf die Stadt konzentrierte Handel lockte immer mehr Käufer und Verkäufer an; rings um den Marktplatz luden Schenken mit „Eigenbräu“ aus dem städtischen Brauhaus zur Einkehr ein. Das heimische Handwerk wurde durch Zuwanderung von auswärts immer vielfältiger, wobei nur der Aufnahme in seine Zunft fand und das Bürgerrecht erhielt, der gute Arbeit nachweisen konnte. Die Reichhaltigkeit der Handwerksbetriebe wird heute noch mit vielen sogenannten Hausnamen in Erinnerung gebracht: So gab es – um wenigstens jene zu nennen, die der modernen Fabrikation weichen mußten – den Bauernbüttner und den Leitenbüttner, den Weißgerber und den Rotgerber, den Fläschner, Seiler, Wagner, Weber, Färber, wohl auch einen Buchbinder, den Riemer, den Hafner und auch den Bader. Manche Waischenfelder Erzeugnisse, so z. B. Töpferwaren, hatten einen weiten Absatz. Einzelne Meister stellten ihr großes Können auch außerhalb der Stadtgrenzen unter Beweis. Hier wären vor allem die Landbaumeister Schwesner/Schwesinger zu nennen, die in fünf Generationen in weitem Umkreis bedeutende kirchliche und weltliche Bauten schufen oder an ihrer barocken Gestaltung maßgebend beteiligt waren. Wenn hier nur Wenzel Schwesner (1710-1772) genannt wird, dann deswegen, weil das „stimmungsvolle Marktplätzchen“, das Ludwig Richter 1837 in seinem Tagebuch erwähnt, das Bergviertel mit dem Pfarrhof, dem sogenannten alten Schulhaus und vor allem der Pfarrkirche mit dem Dachreiterchen statt eines Turmes von ihm jene Gestaltung erfuhren, die heute noch das Bild seiner Vaterstadt wesentlich mit prägt. Anderen tüchtigen Waischenfelder Handwerkern wurde das Heimatstädtchen zu eng, wie dem Riemer Christoph Neuner (geb. 1765), der auf seiner Wanderschaft in die Kärntner Stadt Klagenfurt kam und hier den Grundstein zu einem Unternehmen legte, das heute zu den bedeutendsten Schuh- und Lederwarenherstellern Osterreichs zählt. 1781 wurde Johann Paulus Wehrl aus Gutenbiegen, in 34 Kriegsdienstjahren vom einfachen Soldaten zum „Obristlieutenant“ emporgestiegen, von Kaiser Joseph II. als Paul Wehrl von Lichtenwerth in den Adelsstand gehoben, und 1850 wurde der Waischenfelder Bürgermeister Lauer als Landtagsabgeordneter nach München einberufen.

Wer von den großen Söhnen der kleinen Stadt Waischenfeld spricht, darf ihren wohl größten nicht vergessen: jenen um 1480 geborenen Wagnersohn Friedrich Grau, der in Bamberg und Leipzig studierte, in Padua als Lehrer der Rhetorik wirkte und – sich unterdessen „Nausea“ nennend – zu Frankfurt a. M. als Prediger Luthers Lehre bekämpfte. Um 1533 holte ihn, den man zu den größten Kanzelrednern seiner Zeit zählt, König Ferdinand als Hofprediger nach Wien, wo er acht Jahre später zum Bischof von Wien ernannt wurde. Als seinen Legaten schickte ihn der König auf das Konzil von Trient, wo er 1552 einem hohen Fieber erlag. Zuvor aber hatte sich der Bischof in seiner Heimatstadt mit der Stiftung des spätgotischen Chores der Pfarrkirche selbst ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Eine aufstrebende Stadt wie Waischenfeld beanspruchte nicht nur jenes Gotteshaus in der Nähe seiner Burg, als dessen Stifter ein Heiltumsverzeichnis aus dem Jahre 1558 Konrad von Schlüsselberg nennt, und eine eigene Stadtkapelle, die ihre heutige Gestalt wohl erst nach dem Dreißigjährigen Krieg erhielt, sondern auch eine eigene „Stadt“ – Pfarrei. Ursprünglich zur Urpfarrei Nankendorf gehörend, löste sie sich als Insel inmitten des Nankendorfer Pfarrsprengels von ihr wohl schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts, wenn auch erst 1415 ein Pfarrer von Waischenfeld urkundlich auftritt. Noch bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts verblieben die Auswirkungen solch städtischen Bewußtseins, als die Hannberger und Langenloher ihre Toten in Nankendorf begraben mußten, wobei der Trauerzug durch Waischenfeld „durchgeläutet“ wurde. Wird auch bereits 1451 mit Johannes Breu der erste Lehrer, der als Stadt- und Gerichtsschreiber diese Tätigkeit nur nebenberuflich ausübte, genannt, so wirkte sich erst 1834 das „städtische Bewußtsein‘ der Waischenfelder schulorganisatorisch aus: als man die Schule in eine Stadtschule (für die Kinder der Stadt) und in eine Landschule (für die Kinder aus den Dörfern der Umgebung) aufteilte. Erst 1936 kam die „Wiedervereinigung“ zustande.

Erinnert das an der Wiesent hinter der Stadtkapelle gelegene Häuschen daran, daß die Stadt einst auch ihr Badehaus aufweisen konnte, so das nahe gelegene Spital, daß ihre Bürger auch ihrer Armen und Siechen gedachten. Bis auf das Jahr 1514 geht dieses Spital, getragen von einer eigenen Stiftung, zurück, die allerdings im Lauf der Zeit ihr finanzielles Fundament fast ganz verlor und erst in jüngster Zeit als Wohltätigkeitsstiftung erneuert werden mußte.

Als 1415 der böhmische Reformator Johannes Hus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen starb und 1427 der Papst zu einem Kreuzzug gegen seine Anhänger aufrief, stellten sich die Hussiten dem deutschen Heer, besiegten es und fielen unter ihrem Führer Procop den Kleinen in Deutschland ein. 1430 erreichten sie das Obermaingebiet und eroberten Bayreuth und Kulmbach. Weil ihnen Kronach mit seiner Veste erfolgreich trotzen konnte, entschädigten sie sich damit, daß sie die Orte Weismain, Burgkunstadt, Staffelstein, Waischenfeld, Pottenstein und Ebermannstadt heimsuchten. Der Bauernkrieg 1525 verschonte die Stadt und ihre Burg. In Schwaben und Franken – und so auch im Wiesenttal – waren die Bauern aufgestanden, sich gegen die erdrückende Zins- und Fronlast ihrer Grundherren zu wehren; Feuer und Totschlag begleiteten ihre Heerhaufen. Als der Rat der Stadt Waischenfeld die Hauptleute der Bauern im Lager zu Bamberg befragte, was mit den Schlössern und Häusern der Edelleute geschehen solle, befahlen diese, abzubrechen, was mit Feuer nicht zu vernichten sei; das träfe auch für Waischenfeld zu. Aber Waischenfelds Bauern besannen sich ihrer Stadt und baten die Hauptleute, sie und die Burg zu verschonen. Am 24. Mai 1525 entsprochen diese der Bitte; allerdings mußten alle Edelleute ihre Häuser und der Amtmann die Burg verlassen.

Um so härter schlug das Schicksal im Markgrafenkrieg (1552-1554) zu. Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Bayreuth, der „wilde“ Markgraf, war mit dem Ziel, ein von ihm beherrschtes Fürstentum Franken zu errichten, kurzerhand in bambergisches Gebiet eingefallen. Seine mordenden und brandschatzenden Truppen besetzten im Mai 1552 die Stadt Waischenfeld, um schon im September von den Bombergischen wieder vertrieben zu werden. Doch bereits Ende Januar 1553 kamen die Bayreutherischen wieder, im Februar dann wieder die Bischöflichen, und als im März Albrechts Truppen erneut die Stadt besetzten und sie bis aufs letzte ausgeplündert hatten, machten sie kurzen Prozeß mit ihr: Nüchtern schrieb davon eine Klarissennonne in ihr Tagebuch: „Am 7. tag julius zundet mon Weischafelt an.“ Und der „Summarische Bericht des Hochstifts Bamberg“ über die Kriegsschäden verzeichnet, daß niedergebrannt wurde „die Stadt Wpischenfeld / des merernteilß / als nemlich über achtzig heuser/ auch das rathauß / samt den Preuheusern, Thorn, Thürn und Wehrn“.

Nicht anders erging es der Stadt ein knappes Jahrhundert später, als der Dreißigjahrige Krieg (1618-1648) übers Land zog. Anfang 1632 kam der Schwedenkönig Gustav Adolf, der Heerführer der Protestanten, siegreich von Norden her noch Bayern und so auch durch Franken. Den ersten schwedischen Besuch konnten die Waischenfelder noch abwehren. Doch am 9. August zog dann ein größerer Heerhaufen mit Geschützen auf, belagerte die Stadt, beschoß sie und setzte sie in Brand. Alle Häuser, außer Kirche und Burg (noch anderen Quellen blieben auch das Spital und drei weitere Häuser verschont), fielen dem Feuer zum Opfer. Um die wehrhafte Burg einzunehmen, kamen die Schweden im September zum drittenmal nach Waischenfeld, mußten aber ohne Erfolg wieder abziehen.

Sicher ging auch die „Franzosenzeit“ nicht ganz spurlos an Waischenfeld vorüber. Als bei der Säkularisation 1803 mit dem Hochstift Bamberg auch die Stadt Waischenfeld bayerisch und Kurfürst Maximilian Josef von Bayern 1806 von Napoleons Gnaden König wurde, schlug sich als Mitglied des Rheinbundes Bayern auf Frankreichs Seite, als dessen Kaiser gegen Osterreich und Preußen zog. Wenngleich Waischenfelder Chronisten nur wenig aus jener Zeit berichten, so dürfte anzunehmen sein, daß die Stadt und ihre Bürger sicher auch ihren Beitrag zu den Feldzügen des Franzosenkaisers zu leisten hatten. Bekannt ist jedenfalls, daß mit einem Artenbacher und einem Söllner auch zwei Waischenfelder seinen Zug nach Rußland 1812 mitmachen mußten und davon nur Söllner wiederkehrte und 1815 im Befreiungskrieg russische Truppen hier einquartiert waren.

Ganz harmlos verlief für Waischenfeld die „Preußenzeit“, jener preußisch-österreichische Krieg des Jahres 1866, da die Stadt nur vom Durchmarsch der „Feinde“ aus dem Norden berührt wurde. Den wollte allerdings der bärenstarke Maurer Weisel mit einem alten Kugelstutzen von der Kleinen Leite aus verhindern, und Bürgermeister Wehrl mußte ihn von vier Männern in Schutzhaft nehmen lassen, bis die Preußen wieder abzogen. Die aber ließen sich in der Vorstadt nur mit Kaffee bewirten, zwangen freilich auch die Waischenfelder Bauern, ihre Bagage bis Gräfenberg zu fahren.

War aus allen Kriegen, wie auch immer sie an der kleinen Stadt vorübergingen, getragen von der Tatkraft und der Liebe zur Heimat seiner Bürger immer wieder ein Waischenfeld mit neuem Leben, neuer Blüte hervorgegangen, so zeigte sie sich mit ihren rührigen Bürgern einem nicht gewachsen: dem Anbruch einer neuen Zeit, da die Maschine der menschlichen Hand immer mehr die Arbeit und damit dem Meister den Auftrag nahm. So manch alteingesessenes Handwerk überstand den Wandel nicht und was verblieb, dem fehlte es an den Voraussetzungen, ihm folgen zu können. So vollzog sich der Schritt in das Zeitalter der Industrie abseits des Wiesenttals, das an sich schon dem Städtchen es verwehrte, sich räumlich auszudehnen. Zwar zeigten sich Probeschürfungen einer Gewerkschaft Wittelsbach nach eisenhaltigem Gestein auf den Jurahöhen nicht unergiebig, aber der Weg zur Verhüttung war zu weit, um sie rentabel zu machen. Und als es 1860 galt, die Städte Nürnberg und Bayreuth mit einer Eisenbahn zu verbinden, scheiterte der Plan, eine Bahnlinie von Forchheim,/Baiersdorf über Ebermannstadt, Muggendorf, Waischenfeld, Glashütten nach Bayreuth zu bauen am Widerstand des bayerischen Handelsministers von Schlör, und so fährt man heute von Nürnberg nach Bayreuth durchs Hersbrucker Tal. Dabei hatten die Waischenfelder hinter dem Haus des Flaschners Mayer schon den Platz für den Bahnhof abgesteckt.

Wo das Handwerk den goldenen Boden verlor, verlegte man sich nun ganz wieder auf die kleine Landwirtschaft, die freilich nur einem der Söhne verblieb, während nicht selten die anderen als Auswanderer jenseits des Ozeans ihr Glück versuchten. Immer mehr prägte dörfliches Leben die kleine Stadt, die eigentlich immer schon auch Dorf gewesen war. Über das einst so lebendige Städtchen kam die Müdigkeit des Alters, die das Wagnis der Veränderung scheut. Sein Bild blieb, während sich ringsum die Städte ein neues Gesicht gaben, ein wenig verträumt und mehr von der Vergangenheit zehrend, überragt von einer erinnernden, doch langsam verfallenden Burg, inmitten einer Landschaft, die man unterdessen als romantisch erklärt hatte. Und diese Romantik ließ viele Besucher kommen, ließ das Städtchen in Worten und Bildern lobpreisen. Wer jene Bilder Alt-Waischenfelds betrachtet, die heute im Rathaus hinauf zum Sitzungssaal der Stadtväter führen, wer in den vergilbten Gästebüchern der alten Gasthöfe blättert, erfährt, daß es neben dem Dichter Ernst Moritz Arndt und dem Maler Ludwig Richter noch viele andere waren – auch König Maximilian 11. von Bayern mit Gemahlin war darunter. Nicht wenige der Gäste wurden Freunde dieses Städtchens, dem die Hetze der Zeif noch fehlte und wo Humor den geselligen Abend am Biertisch würzte.

Wie auch anderswo forderten die letzten Kriege von Waischenfeld ihren Blutzoll, wie auch anderswo mußte es, verschont von Bomben, Flüchtlinge und Vertriebene aufnehmen, wie auch anderswo mußten nach dem jüngsten der Weltkriege seine Bürger von neuem beginnen. Und es wurde ein neues Beginnen, getragen von der Kraft der Jugend, die wieder wagte und unternahm. Räumlich sprengte die kleine Stadt ihre Enge, lud Industrie und Neubürger zum Ansiedeln ein. Ihren Straßen gab sie städtisches Gesicht, baute die Schule zum Mittelpunkt des Umlandes aus und ist nun dabei, die Ufer ihrer Wiesent, die zu ihr gehört wie die kleinen Gäßchen, gegen zerstörendes Hochwasser abzusichern. Nun schickt sie sich auch an – überholtes Stadtbewußtsein vergessend – ihren Bereich als Gemeinde über Nachbardörfer aus zuweiten und damit die eigene Kraft zu vergrößern, um auch die Zukunft zu meistern.

Wenn sich nun Waischenfeld im Rahmen einer 650-Jahr-Feier seiner Stadterhebung – an sich eigentlich kein übliches Jubiläumsjahr – seiner reichen Geschichte besinnt und jener Männer gedenkt, denen es das Recht verdankt, sich Stadt nennen zu können, jener beiden Männer, von denen die alte Burgruine und das bescheidene Wappen mit den zwei gekreuzten Schlüsseln (das freilich nicht den schönsten Gedenkplatz fand) und nicht zuletzt sein Stadtsiegel mit dem König als Zeugnis verblieben, dann sicher deshalb, um auch daraus neue Kraft für das Hineinwachsen in eine neue Zukunft zu gewinnen.